Interview de Claude Meisch avec le Lëtzebuerger Journal

"Wir müssen vernetzter denken und das zusammenbringen, was zusammen gehört"

Interview: Lëtzebuerger Journal

Lëtzebuerger Journal: Herr Minister, Ihr Clinch mit den Lehrergewerkschaften ging bis weit in den Sommer hinein. Hatten Sie Zeit für etwas Erholung?

Claude Meisch: Die Zeit muss man sich nehmen. Es ist wichtig, sich zwischendurch zu erholen, neue Energie zu tanken, Distanz zu bekommen und die Gedanken nach vorne zu richten. Wenn man gewisse Dinge nach, einer Zeit wieder anpackt, sieht man sie manchmal anders und erkennt auch schon mal, dass sie eigentlich gar nicht so kompliziert sind.

Lëtzebuerger Journal: Gibt es rückblickend im Lehrerkonflikt, Dinge die sie anders gemacht hätten?

Claude Meisch: In erster Linie sind wir froh, doch noch eine Einigung gefunden zu haben. Mit dem Kompromiss können beide Seiten leben. Natürlich kann man sich im Nachhinein die Frage stellen, ob man irgendetwas hätte anders machen können, immerhin haben wir ein ganzes Jahr gestritten und das Land oder zumindest die Schule in Atem gehalten. Am Ende gab es dann doch von beiden Seiten den festen Willen, es nicht zu einem noch größeren Konflikt kommen zu lassen. Im Endeffekt ging es ja auch "nur" um eine Summe von 3,5 Millionen Euro, die eingespart werden sollten. Parallel dazu wurden 174 neue Posten im Schulbereich geschaffen, was zeigt, wo die Prioritäten der Regierung liegen. Es wurde demnach weit mehr investiert, als eingespart wurde. Es ist bedauerlich, dass immer nur von einer Sparpolitik geredet wird und die vielen anderen Initiativen nicht wahrgenommen werden.

Lëtzebuerger Journal: Kritik kam zumindest vor der Sommerpause aber noch von den Lehrerkomitees...

Claude Meisch: Wir hatten einen Diskussionspartner, so wie es das Gesetz vorsieht, das waren die Gewerkschaften. Mit ihnen haben wir eine Einigung gefunden, die unterzeichnet wurde und die wir jetzt umsetzen. Es wäre gut, wenn, sich jetzt alle dahinter stellen würden und wir wichtigere Dinge anpacken könnten. Wir haben derzeit 80 einzelne Projekte in der Pipeline, wovon einige bereits realisiert wurden und andere noch umgesetzt werden. Diese große Anzahl verdeutlicht, dass wir keine Politik machen, die sich nur auf ein Element stützt, sondern genau wissen, wo wir hinwollen und in vielen Bereichen aktiv sind, was in der Öffentlichkeit leider ziemlich unbemerkt bleibt.

Lëtzebuerger Journal: Während der Pressekonferenz zur letzten Schulrentrée hatten Sie eine ganze Reihe Prioritäten genannt. Wie ist diesbezüglich der Stand der Dinge?

Claude Meisch: Die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung der Lehrer war und ist eine große Priorität. An konkreten Projekten wurde in diesem Kontext etwa das "Institut de formation de l'Education nationale" (IFEN) geschaffen, dies um das Lehrpersonal zu stärken, demnach die Grundausbildung und somit letztendlich die Schule zu verbessern. Was die Grundausbildung anbelangt, so laufen Gespräche mit der Uni, wie diese weiterentwickelt werden kann. 2016 wird mit dem "Master of Secondary Education" ein neuer Studiengang angeboten, mit dem man künftig auch Zugang zum Lehrerberuf im "Secondaire" hat. Die Verdoppelung der Weiterbildung der Sekundarlehrer ist indes eines der Elemente im Kompromiss mit den Gewerkschaften. Auch in der Grundschule sollte über eine Erhöhung der obligatorischen Weiterbildungsstunden - bislang sind es acht pro Jahr, was sehr wenig ist - nachgedacht werden.

Lëtzebuerger Journal: Fehlt es den Lehrern an Wissen oder führen Sie Probleme eher auf den Wandel der Gesellschaft zurück?

Claude Meisch: Der Wandel der Gesellschaft ist nicht zu vernachlässigen. Ein Lehrer, der heute sehr gut ausgebildet in den Beruf einsteigt, findet sich zehn Jahre später in einer ganz anderen Situation wieder. Die Verhaltensauffälligkeiten in den Klassensälen haben innerhalb eines Jahrzehnts deutlich zugenommen. Dyslexie/Dysphasie ist beispielsweise ein Problem, mit dem Lehrer tagtäglich konfrontiert werden und wo eine Weiterbildung sicherlich weiterhelfen kann.

Lëtzebuerger Journal:Eine frühere Sprachförderung gilt seit längerem als Priorität, was hat sich diesbezüglich getan?

Claude Meisch: Das ist ein sehr großes Projekt, an dem wir intensiv arbeiten. Ansetzen müssen wir in der Kinderbetreuung, in einem Alter, in dem Kinder die Sprachen quasi noch im Spielen erlernen. In den Betreuungsstrukturen soll deshalb künftig in den späteren Schulsprachen gespielt, gesungen oder getanzt werden. Damit die Kenntnisse, die dort gesammelt werden, nicht wieder verloren gehen, muss natürlich auch die Sprachförderung und somit der Lehrplan in Cycle 1 und 2 angepasst werden. 2017 wollen wir damit anfangen.

Lëtzebuerger Journal: Auch die Frage nach der Stärkung der Schulautonomie wird immer wieder aufgeworfen. Gibt es mittlerweile Antworten?

Claude Meisch: Die Schulautonomie ist in der Tat eine weitere große Baustelle. Wir sind uns einig, dass jedes Kind anders ist, denken aber manchmal, es dürfe nur eine Schule geben, in die wir die Kinder dann reinpressen und aus der sie am Ende alle gleich rauskommen. Das funktioniert nicht. Die Schülerpopulation ist in Luxemburg zu heterogen. Auch in Sachen Schule müssen wir folglich klarer differenzieren, was teils bereits getan wurde, etwa mit dem "Plan de réussite scolaire" in der Grundschule. Im "Secondaire" besteht Nachholbedarf. Ein wichtiger Schritt ist deshalb die Eröffnung der neuen öffentlichen Europaschule nächstes Jahr in Differdingen. Wir brauchen verschiedene Schulmodelle in Luxemburg. Jedes "Lycee" soll sich selbst in Frage stellen, neue Ausbildungen schaffen und sich ein eigenes Profil geben. Es reicht nicht, eine große Reform zu machen, die dann für alle Strukturen gilt. Die Schule hat einen Dienst zu leisten, nämlich die jungen Leute auf die Gesellschaft vorzubereiten. Da die Gesellschaft permanent ändert, muss sich auch die Schule immer wieder ändern.

Lëtzebuerger Journal:Wie wollen Sie das angehen?

Claude Meisch: In Luxemburg haben wir das Phänomen, dass alle Lyzeen quasi das Gleiche bieten. Nächstes Jahr werde ich deshalb jede Sekundarschule quer durchs Land, um mit den Direktionen und dem Lehrpersonal über die Frage zu diskutieren, welche Schule wir künftig brauchen und welche Spezialisierungen noch fehlen. Wenn ich Schulautonomie sage, geht es auch um mehr Freiheiten für die Schulen. Heute ist es so, dass eine Schule zehn Prozent ihres Programms selbst gestalten darf. Es gibt aber Schulen, die diese Möglichkeit nicht oder kaum nutzen.

Lëtzebuerger Journal: Änderungen werden nun nicht immer positiv vom Lehrpersonal aufgenommen. Ein rezentes Beispiel ist die Reform der Orientierungsprozedur in der Grundschule, die aber gleich vom Lehrersyndikat SNE kritisiert wurde...

Claude Meisch: Hinsichtlich der Überlegungen, die wir vor den Sommerferien geführt haben, werden wir uns noch eingehender mit den Lehrern aber auch den Eltern unterhalten. Ich denke, dass ein falsches Bild von den Lehrern kursiert. Es wird nämlich nicht jedes Mal von allen Seiten geschrien, wenn eine Änderung ansteht. Dass Gewerkschaften versuchen, die Interessen und Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verteidigen, ist normal. Genau das ist ihre Aufgabe. Es ist aber nicht so, als würde nie ein positives Feedback kommen, Zoff ist aber natürlich interessanter. Was nun den Übergang von der Grund- in die Sekundarschule anbelangt, so erscheint es mir wichtig, den Eltern mehr Mitspracherecht zu geben. Sie sollen sich von Anfang an einbringen. Wenn wir das verlagern, können wir sie in diesem Punkt nicht ausschließen. Ich habe das Gefühl, viele Eltern sind überrascht, wenn sie am Ende des sechsten Schuljahres erfahren, wohin ihr Kind orientiert wird. Deshalb soll bereits ein Jahr vorher eine erste Prognose abgegeben werden. So bleibt Eltern und Schülern gegebenenfalls Zeit, daran zu arbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns in diesem Kontext mit den Lehrergewerkschaften einigen können.

Lëtzebuerger Journal: Diskutiert wurde im Laufe des Jahres ein neuer Stundenplan für die Grundschule, wie sieht es damit aus?

Claude Meisch: Es ging überhaupt nicht um einen neuen Stundenplan an sich. Immer mehr Kinder weisen Verhaltensauffälligkeiten auf, das ist ein Fakt, und darauf müssen wir reagieren. Allerdings fehlt es an den nötigen Mitteln. Um die Situation zu verbessern, brauchen wir geschultes Personal. Wenn wir nur eine spezifisch ausgebildete Person in jeder Schule des Landes einsetzen würden, wären das 150 zusätzliche Posten. Wie können wir das in Zeiten einer Budgetkrise bewerkstelligen? Durch eine Umverteilung. Deshalb entstand also die Idee eines neuen Stundenplans, um demnach auf der einen Seite Stunden einzusparen, die wir auf der anderen Seite in neue Posten umwandeln könnten. Da die Umsetzung dieses Vorhabens sich aber schwierig gestaltete, suchen wir momentan nach einem anderen Weg. Wir wollen, dass jede Schule in Zukunft adäquat auf solche Probleme reagieren kann und das Lehrpersonal nicht länger damit alleine gelassen wird. Wir werden dies in der Diskussion um das Lehrerkontingent - also die Ressourcen, die wir den Gemeinden im "Fondamentale" zur Verfügung stellen - einbringen. Das Kontingent soll so berechnet werden, dass es möglich wird, Fachpersonal für diese spezifische Problematik einzustellen.

Lëtzebuerger Journal: Die Probleme in der Berufsausbildung sind ebenfalls bekannt. Wurden inzwischen Lösungen gefunden?

Claude Meisch: In der Tat hatten wir relativ große Änderungen vorgesehen, allerdings konnten wir diese vor der Sommerpause nicht mehr in Gesetzestexte umsetzen. Festgelegt werden sollte, welcher Prozentsatz an Modulen der Schüler im ersten Jahr geschafft haben muss, um ins zweite zu kommen, damit am Ende nicht zu viel zusammen kommt, was dann unmöglich zu bewältigen ist. So sieht die Situation ja heute aus. Wohl wurden Übergangslösungen geschaffen, das reicht aber nicht. Aufgrund einer neuen Interpretation von Artikel 323 der Verfassung konnte die Gesetzesänderung aber nicht so einfach vorgenommen werden. Das genau zu erläutern, würde zu weit führen, jedenfalls müssen wir nun relativ schnell eine Verfassungsänderung an besagtem Artikel vornehmen, um die bereits definierten Pisten schließlich in die Tat umsetzen zu können.

Lëtzebuerger Journal: Die Universität, die ebenfalls in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt, wird am Montag eine historische "Rentree" in Belval erleben. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?

Claude Meisch: Wenn man vor zwölf Jahren, als die Uni geschaffen wurde, eine Prognose hätte erstellen müssen, wäre man sicherlich von weit weniger Studenten ausgegangen und hätte auch nicht die außerordentlichen Entwicklungen der Forschungsaktivitäten vorhergesehen. Die Entwicklung bewerte ich demnach als extrem positiv, was nicht heißen soll, dass gewisse Dinge nicht analysiert werden müssen. Wir untersuchen beispielsweise momentan, ob es Sinn macht, eine Medizinausbildung aufzubauen, und wie dies in die Tat umzusetzen wäre. 2016 werden wir wohl eine Antwort auf diese Fragen geben können. Es ist auch an der Zeit, mit dem neuen Rektor eine erste Bilanz zu ziehen und daneben den Blick nach vorne zu richten, demnach festzulegen, wo wir hinsteuern wollen. An der Uni soll außerdem ein neues Zentrum für Schulentwicklung geschaffen werden. Ein großes Ziel ist es, in Sachen Schule eine größere Vernetzung zu erreichen. Ein Schulsystem kann sich nur kohärent entwickeln, wenn gewisse Bereiche zusammenkommen, demnach die Grundausbildung der Lehrer, die Weiterbildung, die Erarbeitung der Lehrmaterialien und Programme. Bislang machen wir alles getrennt voneinander, manches an der Uni, manches bei uns im Haus, die Weiterbildung am IFEN, und Lehrmaterial wird teils im Ausland eingekauft. Überlegungen laufen deshalb etwa dahingehend, einen gemeinsamen luxemburgischen Verlag zu schaffen, um Lehrmaterialien zu erstellen. Wir müssen vernetzter denken und das zusammenbringen, was zusammengehört.

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