Interview de Claude Meisch avec l'essentiel Online

"(...)Jetzt können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: die Bildungsqualität"

Interview: Claude Meisch

L'essentiel Online: Herr Meisch, nach anderthalb Jahren als Bildungsminister sind Sie die Hassfigur sämtlicher Lehrer, wurden von Gewerkschaften als Lügner bezeichnet und sind laut Umfragen einer der unbeliebtesten Politiker des Landes. Wie fühlt sich das an? Sehnen Sie sich zurück in ihre Zeiten als Differdinger Bürgermeister?

Claude Meisch: Die Zeit als Bürgermeister war toll. Und ich war mir durchaus bewusst, welche Herausforderung es ist, Luxemburgs Bildungsminister zu sein. Ich bin jemand, der der Verantwortung nicht aus dem Weg geht. Wenn ich eine Meinung habe und etwas ändern will, dann setze ich alles daran, das umzusetzen. Das gefällt nicht immer jedem - das ist klar. Dann muss man auch mal gegen Widerstände kämpfen und die Leute überzeugen.

L'essentiel Online: Ist Ihnen das im Lehrer-Streit gelungen?

Claude Meisch: Es geht ja darum, mehr in Bildung zu investieren. Dafür muss zunächst geklärt sein, wo das Geld herkommt. Das geht einerseits durch Verschiebungen innerhalb des Staatshaushalts. Aber auch im Bildungssektor selbst muss geschaut werden, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen - das haben wir gemacht. Und Schlussendlich sind wir zu einer guten Einigung mit den Lehrergewerkschaften gekommen.

L'essentiel Online: Ein junger Luxemburger Grundschullehrer verdient so viel wie der Direktor eines deutschen Gymnasiums, der seit Jahrzehnten im Dienst ist. Wie lange ist dieses System bezahlbar?

Claude Meisch: Man kann das Gehalt eines Lehrers in Luxemburg nicht mit dem in anderen Ländern vergleichen. Man muss es in Relation zu den Löhnen in anderen Branchen Luxemburgs und dem Bruttosozialprodukt setzen. Da stechen wir laut OECD nicht heraus. Außerdem haben Lehrer in Luxemburg durch die Vielsprachigkeit und die heterogene Schülerschaft eine andere Arbeitsbelastung. Richtig ist allerdings, dass wir in Luxemburg für diese Bezahlung weit unter dem liegen, was - in Stunden gerechnet - anderswo geleistet wird. Deshalb war es wichtig an einzelnen Stellen, an denen eine solche Bezahlung nicht mehr zu rechtfertigen ist, was zu ändern. Und das haben wir zum Beispiel bei den Abschlussklassen getan.

L'essentiel Online: War die Reform überfällig?

Claude Meisch: Das System besteht so ja schon seit Jahrzehnten. Und es gab lange keinen Druck, daran etwas zu ändern. Jetzt aber schon. Der positive Effekt einer solchen Haushaltskrise ist, dass man mal genauer hinschaut und die Probleme angeht. Das haben wir getan und jetzt können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: die Bildungsqualität.

L'essentiel Online: Beim Verlassen der Schule sprechen die meisten Jugendlichen hierzulande mindestens vier Sprachen. Aber kaum eine perfekt. Ist das ein Problem?

Claude Meisch: Wir nörgeln in Luxemburg immer gerne über unsere Schüler und unsere Sprachkompetenzen. Vergessen aber, dass wir auf europäischer Ebene immer noch absolutes Vorbild sind. Die Bildungsminister anderer Länder kommen auf mich zu und fragen: "Wie macht ihr das, dass ihr so viele Sprachen in einer solchen Qualität in der Schule vermittelt?". Dennoch haben wir eine große Herausforderung zu stemmen. Jährlich müssen wir etwa 1000 ausländische Kinder in unsere Grundschulen und 500 in die Sekundarschulen integrieren.

L'essentiel Online: Wäre das nicht einfacher, wenn man sich auf weniger Sprachen konzentriert?

Claude Meisch: Wir haben so viele unterschiedliche Schüler in unserem Land, dass wir nicht versuchen können, sie in das gleiche Schulmodell hineinzuzwängen. Stattdessen müssen wir unser Angebot weiter auffächern, um alle Schüler auffangen zu können. Das gilt auch für die Sprachen. Portugiesische Kinder sprechen zum Beispiel oft schon sehr gut Englisch, wenn sie hierher kommen. Und nicht Französisch, wie oft vermutet wird. Für die ist es wichtig, dass es Schulen wie das Lycée Michel Lucius gibt. Mit der Europaschule in Differdingen werden wir ein ähnliches Modell im Süden bekommen und wollen auch einen Partner im Norden. Außerdem ermuntere ich weitere Schulen, sich ein internationaleres Profil zuzulegen.

L'essentiel Online: Also eine Abkehr von den traditionell in Luxemburg gesprochenen Sprachen, weil es gilt so viele ausländische Kinder zu integrieren?

Claude Meisch: Nein, ganz und gar nicht. Das Sprachproblem gibt es ja nicht nur bei den Zugewanderten, sondern auch bei Luxemburgern. So hat etwa die Akzeptanz der französischen Sprache bei jungen Luxemburgern in den vergangenen 20 Jahren stark abgenommen. Deshalb wollen wir schon im Vorschulalter die Basis für die verschiedenen Sprachen legen, um die Kinder besser an die Mehrsprachigkeit heranzuführen. Bisher hören Kinder bis zum Schulalter nur eine Sprache: Luxemburgisch. Warum sollen diese Kinder nicht schon früher an die französische Sprache herangeführt werden? Umgekehrt besuchen ausländische Kinder paradoxerweise meistens Krippen, in denen nur Französisch gesprochen wird. Dort soll künftig auch Luxemburgisch gesprochen werden. Wenn wir zweisprachige Kindertagesstätten haben - und daran arbeiten wir - haben wir später weniger Probleme.

L'essentiel Online: In der Grundschule lernen die Kinder dann aber auf Deutsch Lesen und Schreiben. Dabei bleibt es?

Claude Meisch: Ja. Aber wir müssen uns generell die Frage stellen, wie wir Sprachen vermitteln. So bin ich zum Beispiel der Meinung, dass Französisch in der Grundschule derzeit falsch beigebracht wird. Im Alter von sieben Jahren lernen die Kinder Grammatik und Orthographie, so wie Erwachsene - das ist zu früh. Erst einmal müssen die kommunikativen Fähigkeiten der Kinder gefördert werden, denn die können sehr unterschiedlich sein. Es gibt Familien, da spricht nur einer: der Fernseher. Und das müssen wir mit einer sehr frühen, kostenlosen Sprachförderung abfedern. Das ist eine große Reform die uns bevorsteht, die wir aber angehen müssen und wollen.

L'essentiel Online: Herr Meisch, vielen Dank für das Gespräch.

Dernière mise à jour