Interview von Claude Meisch im Tageblatt

"Es geht um das Recht auf Bildung"

Interview: Tageblatt (Eric Rings)

Tageblatt: Wichtige Akteure des Bildungswesens wie Lehrergewerkschaften und Elternvertretung sind der Meinung, dass es nicht möglich sein wird, die von der Regierung geforderten Sicherheitsmaßnahmen in den Schulen einzuhalten. Was macht Sie so sicher, dass diese Maßnahmen greifen?

Claude Meisch: Die Regeln, die nun für Kinder in der Schule gelten, sind ja nicht groß anders als jene, die sie sonst kennen, wenn sie mal mit ihren Eltern einkaufen oder einfach nur vor die Tür gehen. In dem Sinne sind dies neue Verhaltensregeln, die erklärt werden und die die Kinder auch lernen müssen. Dann sollte das klappen. Natürlich ist mir bewusst, dass das Einhalten dieser Regeln, insbesondere bei Kindern, auch ân seine Grenzen stoßen kann. Ich weiß, dass Kinder sich trotzdem gerne in den Arm nehmen, vor allem, nachdem sie sich lange nicht mehr gesehen haben. Und sich in der "Spillschoul" auch mal zu der Lehrerin auf den Schoss setzen wollen. Deshalb sagen wir auch, wir machen eine klare und strikte Trennung zwischen den einzelnen Gruppen, damit man sich innerhalb dieser Gruppe vielleicht auch mal näherkommen kann.

Tageblatt: Was sagen Sie denn den Eltern, die Angst haben, ihre Kinder im Mai in die Schule zu bringen?

Claude Meisch: Ich verstehe die Angst. Wir, die Politik, die Medien, die Wissenschaft und die Ärzte haben den Leuten natürlich auch Angst gemacht und das hat dazu geführt, dass in den letzten Wochen jeder zu Hause geblieben ist. Die Angst ist immer noch da. Aber ich denke, dass sie nun schrittweise in den nächsten Tagen und Wochen verschwinden wird. Am meisten Sorgen machen wir uns in Bezug auf die Grundschule. Bis es da losgeht, dauert es allerdings noch vier Wochen. Bis dahin werden noch andere Bereiche langsam in die Normalität zurückkommen. Und dann sieht man das sicherlich auch teilweise anders. Wir wollen, dass jeder darauf vertraut, dass wir hier ein Maximum für die Sicherheit tun.

Tageblatt: Heute Morgen (Freitag, Anm, d. Red.) wurde angekündigt, dass jeder Schüler zwei Butts zur Verfügung gestellt kriegt. Ist das Ihrer Meinung nach sicherer?

Claude Meisch: Was die Sicherheit betrifft, ist es nichts anderes als ein Mundschutz. Es ist keine Uniform. Wir bieten das den Schülern an, aber jeder darf anziehen, was er möchte. Wir finden, dass ein Buff kindgerechter ist. Es ist etwas, das Kinder meist schon kennen und vielleicht mal im Winter oder beim Sport anhatten. Und sie können es eigenständig handhaben. Eine Mundschutzmaske anziehen ist dagegen etwas, bei dem sich die Kinder nicht unbedingt so wohlfühlen. Da würde man durch die Masken unnötige Nähe schaffen.

Tageblatt: Eine weitere von ihnen angekündigte Maßnahme ist das Splitting, also das Halbieren der Klassen, das von manchen Akteuren kritisiert wird. Steht und fällt die Exit-Strategie des Bildungsministeriums mit dieser Maßnahme?

Claude Meisch: Wir machen das Splitting, um dadurch mehr Sicherheit zu bekommen. Dadurch können wir die Distanz im Klassenraum wahren. Wäre die ganze Klasse über die Dauer eines ganzen Tages im gleichen Raum, dann könnte zu Recht jemand die Frage stellen, wieso man denn an der Kasse der Tankstelle für maximal zehn Minuten nur zu dritt stehen darf. Durch dieses alternierende Modell stellen wir sicher, dass wir immer wieder Zeit. haben, sowohl neuen Lernstoff zu lernen als auch das Erlernte zu vertiefen. Beim Homeschooling wurde dagegen alles von zu Hause gemacht. Mit diesem Splitting-Modell wollen wir sicherstellen, dass zumindest noch über ein paar Wochen ein normaler Unterricht gewährleistet werden kann.

Tageblatt: Bemängelt wird daran insbesondere, dass es ein immenser organisatorischer Aufwand sei.

Claude Meisch: Es ist ein enormer organisatorischer Aufwand wegen des Covid-19. Wir müssen uns klarmachen, worum es hier geht. Wir befinden uns schließlich mitten in einer Pandemie, die die Welt in Atem hält. Wir wissen nicht wirklich, wie das weitergeht, auch in Bezug auf die Verbreitung des Virus. Wir wissen aber, dass es wichtig ist, Kinder in die Schule zu schicken. Vergangene Woche habe ich diesen Exit-Plan ebenfalls im Parlament vorgestellt. Da hat eigentlich niemand daran gezweifelt, dass es wichtig sei, die Kinder wieder in die Schule zu schicken. Es geht um das Recht auf Bildung. Etwas, das wir den Schülern momentan in der Form nicht mehr geben können. Wir wollen das wieder zurückhaben. Wir wollen dieses Stück Normalität wieder haben. Natürlich mit den Einschränkungen, die nun existieren. Deshalb haben wir dieses Splitting-Modell entwickelt. Auch, wenn es organisatorisch ein Riesenaufwand ist.

Tageblatt: Auf welchen Expertenmeinungen basieren Sie Ihre Exit -Strategie?

Claude Meisch: Wissen Sie, wir haben die Schulen geschlossen, weil wir eine Notsituation hatten. Wir stellen nun fest, dass wir medizinisch und sanitär gesehen eine gute Situation in Luxemburg haben und deshalb wieder einzelne Aktivitäten hochfahren können. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch die Schulen wieder öffnen, auch wenn sie anders funktionieren als sonst. Wir schicken zuerst die größeren Schüler wieder zurück, weil wir jenen Experten glauben, die sagen, dass diese Schüler besser klarkommen mit den Verhaltensregeln. Die "Premières" als Erstes, damit diese sich auf ihr Examen konzentrieren können. Darauf haben wir uns basiert. Wir probieren, das Beste daraus zu machen, um noch einen tauglichen Abschluss dieses Schuljahres hinzukriegen.

Tageblatt: Wie sicher ist es, dass die ganz Kleinen, also der Zyklus 1, am 25. Mai wieder in die Schule geht?

Claude Meisch: Es ist das, was wir vorschlagen. Weil es der Regierung sehr wichtig ist, dass die Kinder wieder beschult werden. Am 13. März war der letzte Schultag. Gerade im Zyklus 1 geht es darum, die Kinder auf die Alphabetisierung im 1. Schuljahr und andere Vorerrungenschaften vorzubereiten, damit sie dort einen guten Start hinlegen können. Eine Mehrheit der Kinder hört kein Wort Luxemburgisch zu Hause. Und dann glauben wir, dass wir eine Chance haben, diese Kinder im September auf Deutsch zu alphabetisieren, wenn wir den Zyklus 1 zu Hause lassen? Deshalb probieren wir, Sicherheitsmaßnahmen und Aktivitäten einzuführen, die altersgerecht sind. Es ist mir durchaus klar, dass sich Kinder in diesem Alter nicht den ganzen Tag an jede dieser Regeln halten werden. Deshalb halbieren wir die Klassen, schlagen Aktivitäten vor, bei denen die Distanz eingehalten werden kann, und empfehlen, viel rauszugehen. Man sollte auch bedenken, dass die Kinder seit zwei Monaten zu Hause hocken.

Tageblatt: Gefährdete Schüler sollen zu Hause bleiben und werden anhand des gefilmten Unterrichts beschult. Gibt es da keine Bedenken wegen Datenschutz?

Claude Meisch: Wir sehen da kein größeres Problem, wenn ein Lehrer seinen Unterricht filmt und den live an gefährdete Schüler streamt. Das wird auch jetzt schon gemacht, bei Fällen, wo Schüler krank sind. Denn auch diese Schüler haben ein fundamentales Recht auf Beschulung. Jeder Lehrer bekommt einen Laptop, den er vorne auf seinen Schreibtisch stellt und der den Unterricht filmt, damit die Schüler zu Hause daran teilnehmen können. Es geht einerseits drum, die Schüler zu schützen, und andererseits auch darum, niemanden auszuschließen und auch die gefährdeten Schüler zu beschulen.

Tageblatt: In manchen Schulen wird es schwierig, beispielsweise in schmalen Treppen, die Zwei-Meter-Distanz einzuhalten.

Claude Meisch: Ich möchte noch mal dran erinnern, dass die Grundregel nicht heißt, dass wir überall zwei Meter Distanz einhalten müssen. Wir müssen entweder zwei Meter Distanz einhalten oder den Mundschutz anziehen. Und dort, wo die zwei Meter nicht eingehalten werden können, muss ich einen Mundschutz tragen. Es ist in der Schule nicht anders als auf der Straße. Dennoch probieren wir, je nach Gegebenheit der jeweiligen Schule, die Distanz größtmöglich zu wahren, damit Schüler, die nicht zusammen in einer Klasse sind, keinen Kontakt zueinander haben. Das muss jetzt im Detail begutachtet werden. Das Prinzip lautet: Wir beschützen die Klasse nach außen. Aber innerhalb der Klasse können wir eine gewisse Offenheit zeigen. Dort kann man auch mal den Mundschutz ausziehen oder sich mal näher kommen.

Tageblatt: Im Bus oder in der "Maison relais" werden sich die Schüler aber vermischen.

Claude Meisch: Darin sehen wir die Komplexität. In den "Maisons relais" muss stets die gleiche Gruppe zusammenbleiben. Kinder, die nach Schulschluss weiter betreut werden müssen, bleiben in ihrer Schulgruppe zusammen und werden durch die "Maison relais" betreut. Eigentlich gehen sie nicht in die "Maison relais", sie bleiben in ihrem Klassenraum. Ein Erzieher der "Maison relais" kommt in die Klasse. Jene Schüler, die in dieser Woche im Homeschooling sind und betreut werden müssen, gehen auch in ihrer geschlossenen Gruppe in die "Maison relais". Wir probieren, diese Gruppen nach außen hin abzuschotten.

Tageblatt: Bleibt es bei den angekündigten Terminen vom 4., il. und 25, Mai? Wie wackelig sind diese Termine?

Claude Meisch: Das weiß ich nicht. Wir haben angekündigt, dass das Richtlinien sind. Wir brauchen diese Angaben, um uns vorzubereiten. Sie werden sicher nicht nach vorne verschoben. Was aber sein kann, ist, und das ist keine schulische, sondern eine rein epidemiologische Überlegung, dass wir vor dem 25. Mai sägen, wir müssen noch eine oder zwei Wochen warten. Denn bei jedem Schritt, den wir in der Exit-Strategie tun, muss geschaut werden, wie sich die Situation in Bezug auf das Virus entwickelt. Das, was hier dominiert, ist nicht das Interesse der Schule, das hätte ich vielleicht gerne, sondern ganz klar die sanitären Überlegungen.

Tageblatt: Läuft der Schulbetrieb im September wieder normal an? Ohne die jetzigen Sicherheitsmaßnahmen?

Claude Meisch: Ich hoffe das sehr stark. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass wir so weiterfahren, wie wir das jetzt machen. Da müssen wir uns dann etwas anderes einfallen lassen. Wir machen das jetzt hier mit einem enormen kollektiven Kraftaufwand aller Beteiligten, um das irgendwie auf die Reihe zu bekommen, um noch ein paar Wochen den Schulbetrieb weiterführen zu können. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das ein Modell sein kann, das wir über die Dauer eines ganzen Schuljahres durchziehen können.

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